Erster Schritt für eine zukunftsorientierte Agrarpolitik: Wählen gehen!

Agrarpolitik auf EU-Ebene ist derzeit frustrierend – und ist ignorant in Bezug auf die Fragen, die wirklich wichtig wären. Aber den Kopf in den Sand zu stecken, ist keine Alternative. Denn es gibt viele Hebel, die wir in der Hand haben, um eine zukunftsorientierte Agrarpolitik zu gestalten.

Das EU-Parlament wird neu gewählt. Und überall wird dazu aufgerufen, wählen zu gehen. Es geht ja auch um viel. Zuallererst darum, dass überhaupt demokratische Parteien ins EU-Parlament gewählt werden. Aber auch für Landwirtschaft, Ernährung und die langfristige Sicherung unserer Lebensgrundlagen werden die großen Weichen in Brüssel gestellt. Ein Drittel des gesamten EU-Haushalts umfasst das Budget der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP). Für einen landwirtschaftlichen Durchschnittsbetrieb in Deutschland machen die Fördergelder der GAP etwa 40–60 Prozent des Betriebseinkommens aus.

Nach welchen Regeln dieses Geld verteilt wird, hat also enorme Auswirkungen auf die Art und Weise, wer in Deutschland wie landwirtschaftlich arbeitet. Und weil der Selbstversorgungsgrad hierzulande immerhin 80 Prozent beträgt, hat die Verteilung der GAP-Gelder auch große Auswirkungen darauf, was für Nahrungsmittel wir essen und unter welchen Bedingungen sie produziert werden. Auch auf die Landschaftsgestaltung, die Artenvielfalt, die Qualität des Grundwassers, die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme und letztlich auch auf das Puffern von Extremwetterereignissen hat der Verteilmechanismus der EU-Gelder Auswirkungen. Denn 50 Prozent der Fläche Deutschlands werden landwirtschaftlich genutzt.

Auch Fragen der Gentechnik werden in Brüssel entschieden. Aktuell versucht die EU-Kommission eine nahezu komplette Deregulierung von „neuen Gentechniken“ durchzusetzen. Die Zusammensetzung des EU-Parlaments ist vor diesem Hintergrund entscheidend.

Ignorante Agrarpolitik statt Veränderung

Gleichzeitig ist mir an dieser Stelle aber wichtig, einem Gefühl von Resignation und Hilflosigkeit Raum zu geben. Anfang des Jahres haben Landwirt:innen in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, ihren Frust auf die Straße getragen. Gründe waren überbordende bürokratische Vorgaben, geringe Produktpreise und Einkommen, mangelnde Zukunftsperspektiven, aber auch die große Entfernung von Politik und Gesellschaft von der Lebensrealität auf den Höfen.

Und was ist daraus geworden? Bereits im Februar hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Vorschlag für eine strengere Pflanzenschutzmittelverordnung zurückgezogen. Bis April hat die EU dann in beispielloser Geschwindigkeit die erst 2023 neu eingeführten Umweltstandards der GAP aufgeweicht. Der Deutsche Bauernverband (DBV) applaudierte und mit ihm viele seiner Mitglieder. Sie haben über ihren europäischen Dachverband COPA-COGECA maßgeblich darauf hin gewirkt. Die Bäuer:innen lassen lieber zu, dass ihre Verbandsspitze ihre Arbeits- und unser aller Lebensgrundlage schreddert, als für wirkliche Vereinfachung und höhere Erzeuger:innenpreise zu sorgen. In Deutschland versucht der DBV sogar, die Einführung von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung zu verhindern. Dabei würde dieser Milchbäuer:innen erstmals erlauben, wirksam ihre Preise gegenüber Molkereien zu verhandeln.

Die Konsequenz der Treckerdemos lautet also: Proteste von Bäuer:innen wegen mangelnder Zukunftsperspektiven enden in der Abschaffung weiterer Zukunftsperspektiven. Die Bäuer:innenschaft ist gespalten wie zuvor. Und das Verhältnis zwischen Politik und Landwirtschaft ist trotz einzelner ernst gemeinter Bemühungen, zuzuhören, angespannter denn je.

Statt Wahl-Frust: Gute Ideen anpacken

So berechtigt der Frust über diese festgefahrene Situation ist – er verdeckt, dass es viele gute Vorschläge für eine bessere Agrarpolitik gibt. Man schaue nur in die Empfehlungen der Borchert-Kommission oder der Zukunftskommission Landwirtschaft, die zeigen, dass Landwirtschafts-, Umwelt- und Wissenschaftsverbände gemeinsam sinnvolle Ideen entwickeln können.

Es gibt Versuche, auf kommunaler Ebene Energiewende und Landwirtschaft in Einklang zu bringen. Oder auf Bundesebene jungen Landwirt:innen besseren Zugang zu Land zu verschaffen. Aber auch erfolgreiches bürgerschaftliches Engagement, um investorengetriebene Großprojekte zu verhindern. All diese Papiere, Überlegungen, Aktionen und Initiativen bieten eine Orientierung, wie eine bessere Agrarpolitik aussehen kann.

Was tun? Ein paar Vorschläge

Wir alle haben mehr Hebel in der Hand als wir denken. Denn Landwirtschaftspolitik ist nicht nur Sache der Landwirt:innen: Alle, die Land besitzen, entscheidet mit über dessen Verwendung. 50 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen gehören vielen verschiedenen Nicht-Landwirt:innen, 2 Prozent den Kirchen und 8 Prozent der öffentlichen Hand. Sie alle bestimmen, was auf diesen Flächen passiert – eine kostenlose Beratung dazu bietet FAIRPachten.

Wie man als Flächenbesitzer:in sinnvoll Pachtbetriebe auswählen kann, zeigt dieses Papier mit Kriterien für eine gemeinwohlorientierte Verpachtung. Und wie viel Gestaltungsspielraum allein die Kommunen auf die Gestaltung der Landwirtschaft und Ernährung haben, demonstriert der Marburger Aktionsplan.

Die EU-Agrarzahlungen werden von unseren Steuergeldern finanziert. Wir sollten alle darüber mitentscheiden, wie dieses Geld genutzt wird. So festgefahren die Situation derzeit erscheint, am Ende ist sie menschengemacht. Und lässt sich durch Menschen ändern. Der erste Schritt ist: wählen gehen.


Dieser Artikel ist wurde von Anne Neuber, Mitglied der AbL, geschrieben und erschien zuerst bei Campact.


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