HIER GEHT‘S UM DIE WURST
Finale Entscheidungen in der Reform der europäischen Agrarpolitik
Deutsche und europäische PolitikerInnen wollen bei der Reform der EU-Agrarpolitik Milliardensubventionen weiterhin blind auf die Fläche verteilen, statt ökologisch und sozial wertvolle Landwirtschaft zu fördern. Dagegen organisiert sich europaweit gesellschaftlicher Protest.
Im Oktober 2020 wurde im europäischen Parlament und in den deutschen Medien darüber debattiert, ob vegane Wurst weiterhin als „Wurst“ bezeichnet und verkauft werden darf. Während die Öffentlichkeit sich mit SojaSchnitzel, Tofu-Bratwurst oder Veggie-Burger beschäftigte, stimmte das Europäische Parlament über die Verteilung von 387 Milliarden Euro Agrarsubventionen in der Europäischen Union (EU) ab. So konnten die Abgeordneten eine veraltete Politik durchwinken, ohne viel öffentliche Aufmerksamkeit fürchten zu müssen.
Das dürfte auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner gefreut haben, die als Vorsitzende des EU-Agrarrats ein „Weiter so“ in der Agrarpolitik voranbrachte. Die Milliarden der gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) sind ein wesentlicher Teil des gesamten EU-Haushalts. Nicht nur deshalb verdient diese erneut verpasste Chance für die überfällige Agrarwende weit mehr Aufmerksamkeit als die Bezeichnung veganer Produkte.
EU-Abgeordnete und MinisterInnen der Mitgliedstaaten votierten für eine Fortführung der Subventionspolitik, die das Geld vor allem pauschal über die Fläche an jene mit viel Landbesitz verteilt. Pauschale Flächenprämien sind weiterhin das Prinzip, statt ökologisch wertvolle und sozial ausgerichtete Landwirtschaft zu fördern. Es folgte eine Welle der Empörung in den sozialen Medien: Unter dem Hashtag #WithdrawTheCAP verlangten Umwelt-, Tier-, KonsumentInnen und bäuerliche Organisationen im Schulterschluss mit der „Fridays for Future“-Bewegung einen Neustart des GAP-Reformprozesses. Rückendeckung bekamen sie auch von 3.600 WissenschaftlerInnen, die schon im März 2020 grundlegende Veränderungen der EU-Agrarpolitik gefordert hatten.
Ohne eine Umkehr in der Förderpolitik seien die Zerstörung der Natur nicht zu stoppen und die Ernten in Gefahr, so ihr Urteil. Nach den letzten Entscheidungen im Europäischen Parlament und Rat warnte die Wissenschaft noch einmal, dass durch die dort beschlossenen Änderungsvorschläge Umweltmaßnahmen weiter abgeschwächt und die ungerechte Verteilung noch verstärkt würden. Etwa 40 WissenschaftlerInnen bezeichneten die derzeit stattfindenden Abschlussverhandlungen auf EU-Ebene als letzte Chance für eine fairere und grünere GAP. Trotz dieser Appelle stehen momentan die Zeichen auf Fortführung des Status quo, also der Verteilung von Geld mit der Gießkanne auf die Fläche.
Davon profitieren vor allem diejenigen, die viel Land besitzen. In Deutschland werden mehr als zwei Drittel der EU-Agrarsubventionen als Flächensubventionen pauschal pro Hektar verteilt. Das führt dazu, dass etwa die Deutsche Agrar Holding mitsamt Tochterunternehmen jährlich 5,5 Millionen Euro erhält. Während die Agrarindustrie Millionen kassiert und der Bauernverband fröhlich ihre Interessen vertritt, profitieren kleine und mittlere Höfe kaum von den Fördergeldern. Sie kämpfen angesichts des immer stärker werdenden Preisdrucks und steigender Landpreise um ihr Überleben. Und diesem fatalen Prinzip der Flächenzahlungen soll mit der aktuellen Agrarreform bis mindestens 2027 weiteres Leben verlängert werden.
Agrarreform auf der Zielgeraden
Aktuell befinden sich die Reformverhandlungen im sogenannten Trilog und damit auf der Zielgeraden. Dabei treffen sich die EU-ParlamentarierInnen und die AgrarministerInnen aus dem Rat mit der Europäischen Kommission. Von diesen weitgehend geheimen Verhandlungen dringt nur wenig nach außen. Unlängst kritisierte eine Gruppe grüner Abgeordneter in einem offenen Brief an den Vorsitzenden des Agrarausschusses diese Hinterzimmerpolitik. Es darf nicht sein, dass die Zivilgesellschaft und sogar Abgeordnete ihres Rechts auf ein transparentes Verfahren beraubt werden.
Julia Klöckner saß als deutsche Ministerin diesen Verhandlungen bis Januar 2021 vor und übergab dann den Vorsitz an die portugiesische Ratspräsidentschaft. Diese zieht das von der deutschen Ratspräsidentschaft vorgelegte schnelle Tempo der Verhandlungen weiter durch und verkündete, die Verhandlungen bis Ostern abschließen zu wollen. Anschließend müssen Parlament und Rat die beschlossenen Kompromisse noch bestätigen. Dieser straffe Zeitplan wird jedoch zunehmend unrealistisch und eine Einigung bis Mitte des Jahres erwartet.
Ein wichtiger, noch offener Verhandlungspunkt sind die Öko-Regelungen (sog. Eco-schemes) zur Förderung von Umweltmaßnahmen. Hier sind sowohl die genaue Ausgestaltung als auch ihr Anteil am Gesamtbudget zwischen den Verhandlungsparteien strittig. Das EU-Parlament fordert, mindestens 30 % des Agrarbudgets für die ÖkoRegelungen zu reservieren, wohingegen die AgrarministerInnen den Anteil auf 20 % begrenzen wollen. Doch selbst nach dem Willen des Parlaments sollen gleichzeitig mindestens 60 % für Flächenzahlungen bleiben. Damit wäre der Großteil der Subventionen weiterhin flächengebunden, obwohl Umwelt- und bäuerliche Organisationen „öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“ fordern.
Insgesamt bekommen die Mitgliedstaaten mit der neuen Agrarpolitik mehr Gestaltungsraum. Sie arbeiten bereits parallel zum Entscheidungsprozess in Brüssel eigene Strategiepläne zur nationalen Umsetzung aus. Diese werden bis Ende dieses Jahres fertiggestellt und der europäischen Kommission zur Bestätigung vorgelegt. Vielfach spiegelt sich auf nationaler Ebene die Intransparenz des Prozesses wider und es fehlen wirkungsvolle Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft. Da ein Umschwenken auf europäischer Ebene angesichts der fortgeschrittenen Verhandlungen höchst unwahrscheinlich ist, sind ambitionierte nationale Strategiepläne die letzte Chance, um die Agrarreform noch zu retten. Damit diese aber nicht zu einem Unterbietungswettlauf verkommen, braucht es gesellschaftliche Beteiligung und öffentlichen Druck.
"Damit wäre der Großteil der Subventionen weiterhin flächengebunden, obwohl Umwelt- und bäuerliche Organisationen 'öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen' fordern."
Europaweit laut werden für gutes Essen und gute Landwirtschaft
Am 16. Januar hat das „Wir haben es satt!“-Bündnis seine Forderung nach einem radikalen Umsteuern in der Agrarpolitik vor dem Kanzlerinnenamt in Berlin unterstrichen. Zum Auftakt des Superwahljahrs 2021 forderten 10.000 Menschen – pandemiegerecht mit ihren eingesandten Fußabdrücken – die Agrarwende. Während die EU-PolitikerInnen weiterhin die notwendigen Reformen verschleppen, machen Organisationen gemeinsam Druck für die Agrarwende. In 14 europäischen Ländern sind solche Zusammenschlüsse für die Agrarwende aktiv.
Seit dem Beginn der Agrarreform 2018 schließen sich LandwirtIn nen, UmweltschützerInnen und KonsumentInnen zu den europaweiten Aktionstagen „Good Food Good Farming“ (Gutes Essen, Gute Landwirtschaft) zusammen. In den vergangenen Jahren beteiligten sich daran über 300 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 22 europäischen Ländern. Trotz der Einschränkungen durch die CoronaPandemie wurden 2020 etwa 90 verschiedene Aktionen organisiert, darunter Straßenproteste, Hofbesuche oder Onlinekonferenzen. Und auch 2021, im Jahr der finalen Entscheidungen zur GAP-Reform, ruft Good Food Good Farming wieder zu einem bunten und lauten Protestmonat im Oktober auf.
Mit On- und Offlineaktionen fordert das Kampagnennetzwerk dieses Jahr eine zukunftsfähige Agrar- und Ernährungspolitik. Konkret heißt das: mehr gesundes Essen, klima- und umweltfreundliche Landwirtschaft und die Existenzsicherung für LandwirtInnen. Dazu müssen in der GAP die Ziele des europäischen Green Deals festgeschrieben werden: 50 % weniger Pestizideinsatz auf dem Acker und 50 % weniger Antibiotika in den Ställen bis 2030. Gleichzeitig sollen ökologisch bewirtschaftete Flächen auf 25 % der gesamten europäischen Ackerfläche ansteigen. 1 Damit diese Ziele tatsächlich erreicht werden und die Kommission ihr Wort halten kann, müssen entsprechende Maßnahmen in der Agrarpolitik getroffen werden. Denn für eine gute Zukunft für Bauernhöfe, Tiere und Umwelt brauchen wir einen Politikwechsel. In diesem Jahr wird sich mit den finalen Entscheidungen zur Agrarpolitik zeigen, wie ernst es der EU und ihren Regierungen mit dem Versprechen des Green Deal ist. Hier geht es dann wirklich um die Wurst, nicht nur um die vegane.
Autorin: Verena Günther
Koordinatorin der europäische Kampagne Good Food Good Farming.
Zuerst erschienen in: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung 01/21
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