Grüne Kreuze, Bauern-Demos und Reformstau

Wir brauchen eine echte Wende in der Landwirtschaft, die Arten- und Höfesterben gleichermaßen angeht

Die Proteste von Landwirt*Innen gegen das kürzlich verabschiedete Agrarpaket nehmen an Fahrt auf. Das Aufeinanderprallen von Blockadehaltungen, Beharrungsvermögen, Bauern-Bashing und Bienenschutz zeigt, dass dringend an einem breiten gesellschaftlichen Konsens gearbeitet werden muss. Denn so kann es nicht weitergehen, sonst hat bäuerliche Landwirtschaft keine Perspektive - Ein Beitrag von BUND-Experte für Agrarpolitik, Christian Rehmer


Schlepper an Schlepper. Blockierte Innenstädte. Wütende Bauern, gespenstische grüne Kreuze am Wegesrand und eine neue Protestbewegung. Im Herbst machten Deutschlands Bäuerinnen und Bauern ihrem Unmut ordentlich Luft. Sie stellten als stillen Protest grüne Kreuze auf und folgten zu zehntausenden den Demoaufrufen. Die Medien, die Öffentlichkeit und selbst die herrschende Agrarpolitik sahen sich einem unerwarteten Protest gegenüber. Doch wofür oder besser wogegen die Landwirtinnen und Landwirte ihre Höfe verließen und auf die Straße gingen, blieb weitgehend unklar. Ein bunter Blumenstrauß an Kritikpunkten und wenig konkrete Forderungen verwirrten zusätzlich.

Mit den grünen Kreuzen, die auf eine Idee des Landwirts Bauer Willi zurückgehen, soll gegen das vom Bundeskabinett im September 2019 verabschiedete Agrarpaket protestiert werden. Zum Paket gehören das Aktionsprogramm Insektenschutz, die Einführung einer (freiwilligen) Tierwohlkennzeichnung und eine Änderung des Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes. Zuvor wurden Änderungen an der Düngeverordnung diskutiert und nach Brüssel gemeldet. Die vier Vorhaben haben unterschiedliche Auswirkungen auf die Betriebe. Während Einschränkungen beim chemischen Pflanzenschutz vor allem Acker- und Obstbaubetriebe treffen, belasten Verschärfungen im Düngerecht einige Betriebe vor allem in den nitratbelasteten Gebieten der Republik. Die möglichen Kürzungen bei der Flächenprämie wirken sich auf alle Betriebe aus, die Flächenprämie beantragen. Die Tierwohlkennzeichnung wird vorerst nur für Schweinemastbetriebe gelten.

Auf den Höfen herrscht Sorge aufgrund dieser umwelt- und tierschutzpolitischen Änderungen. Hinzu kommt die Empörung über das geplante Mercosur-Abkommen sowie ein gefühltes Bauernbashing. Darunter wird eine einseitige Schuldzuweisung an die Landwirtschaft verstanden – etwa im Hinblick auf Artenerhalt, Klimaschutz oder Tierwohl. Was anfangs nur durch das Aufstellen der grünen Kreuze sichtbar wurde, führte im Oktober und November zu größerem Protest. Die Demos organisierte ein neues Netzwerk namens „Land Schafft Verbindung“, welches hauptsächlich über dezentrale Social-Media-Gruppen kommunizierte – größtenteils am Bauernverband vorbei.

Botschaften an die falsche Adresse

Grundsätzlich ist es mehr als legitim, für die eigenen Interessen auf die Straße zu gehen und gegen politische Entscheidungen zu protestieren, wenn man sie für falsch hält. Das gilt auch die die grünen Kreuze und die Bauernproteste. Problematisch ist allerdings, welche Botschaften dabei ankommen: gegen Änderungen im Pestizidrecht, um Insekten besser zu schützen. Gegen eine Kürzung der Direktzahlungen, die etwa 280 Euro pro Hektar betragen, um 4,50 Euro im kommenden Jahr – was den Bundesländern 75 Millionen Euro für sinnvolle Maßnahmen in der zweiten Säule einbringt. Gegen die von der EU-Kommission dringend angemahnten Verschärfungen im deutschen Düngerecht, da dieses seit über 25 Jahren so mangelhaft ist, dass damit die EU-Gesetze zum Grundwasserschutz nicht eingehalten werden. Transportiert wird dadurch eine Blockade- und Verweigerungshaltung. Dabei steht auf vielen Plakaten der Wunsch „Redet mit uns“.

Vielleicht ist die Bundesregierung, die sich agrarpolitisch wirklich nicht mit Ruhm bekleckert, für diesen Redebedarf die falsche Ansprechpartnerin. Vielleicht sollten die Demos besser vor den Zentralen der Landesbauernverbände und dem Hauptstadtbüro des Deutschen Bauernverbandes stattfinden. Denn dort wurde maßgeblich dafür gesorgt, dass es in der Agrarpolitik einen enormen Reformstau zulasten der bäuerlichen Strukturen gibt und die Branche immer mehr das Gespür für die Wünsche der Menschen verloren hat. Mit dem Beharren auf alte, überholte Strukturen und Produktionsweisen hat der Bauernverband einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass viele Betriebe mit dem Rücken zur Wand stehen. Eine Politik, nach dem Motto „Weiter so“, bietet der bäuerlichen Landwirtschaft keine Zukunftsperspektive.

"Wer viel Fläche hat, bekommt viel Geld. Damit werden weder ökonomische noch ökologische Ziele erreicht."

Christian Rehmer, BUND
Wohin fließt das Geld?

Der Umbau der Nutztierhaltung wurde jahrelang blockiert, obwohl spätestens seit Vorlage eines Nutztiergutachtens im Frühjahr 2015 bekannt war, wie schlecht es in den Ställen aussieht, wie es besser gehen könnte und welche Umbauschritte notwendig wären. Zudem will eine Mehrheit der Menschen verbesserte Haltungsregelungen. Es gibt zudem genug Belege, dass die gängige Landwirtschaft massiv zum Artensterben in der Agrarlandschaft beiträgt – beispielsweise durch die Wissenschaftlichen Beiräte des Bundeslandwirtschaftsministeriums oder das Bundesamt für Naturschutz. Darauf wurde mit dem Insekten-Aktionsprogramm (unzureichend) reagiert. Letztendlich verhält es sich mit der Reform der EU-Agrarpolitik ähnlich. Jährlich werden in der EU 58 Milliarden Euro für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ausgegeben. Der größte Teil dieses Geldes (72 Prozent) wird pauschal nach Fläche ausgezahlt. Wer viel Fläche hat, bekommt viel Geld. Mit diesen Geldern werden jedoch weder ökonomische noch ökologische Ziele erreicht. Sie halten nicht das immense Höfesterben (minus 1,3 Prozent pro Jahr) auf, tragen weder zum Arten- oder Klimaschutz bei noch verbessern sie die Haltungsbedingungen für Tiere. Selbst das Argument, es handelt sich um eine wichtige Einkommensunterstützung, greift zu kurz, denn es findet keine Bedürftigkeitsprüfung statt. Anstatt die Mittel dafür zu nutzen, diejenigen Betriebe, die mehr für den Erhalt der Arten, den Schutz des Klimas oder die bäuerliche Landwirtschaft tun, hält der Deutsche Bauernverband an der Geldverteilung nach dem Gießkannenprinzip fest. Dabei wären genau diese Fördermittel dafür geeignet, die gestiegenen gesellschaftlichen Erwartungen an die Agrarbetriebe zu finanzieren. Denn von alleine schaffen das die meisten Höfe nicht.

Der anhaltende Strukturwandel, das Sterben bäuerlicher Betriebe und der Schwund der Artenvielfalt haben oft die gleiche Ursache: eine Agrarpolitik, die auf maximale Intensivierung und Exportorientierung setzt und vielfach einen ruinösen Wettbewerb zulasten von Mensch, Tier und Natur anheizt. Bäuerliche Landwirtschaft – egal ob ökologisch oder konventionell – und der Schutz von Natur und biologischer Vielfalt dürfen in der politischen Debatte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Im Gegenteil: Die für Höfesterben wie Artensterben gleichermaßen verantwortliche Politik muss geändert werden.

Neue Auflagen in den Bereichen Umwelt, Tierwohl, Klima und Artenschutz stellen alle Betriebe vor große Herausforderungen. Gerade für kleine und mittlere Betriebe ist das schwer. Daher sollten diese im Rahmen der EU-Agrarpolitik stärker unterstützt werden – das sehen übrigens 73 Prozent der BundesbürgerInnen ebenso, wie eine repräsentative Umfrage 2018 ergeben hat. Minimale Erzeugerpreise, schlechte wirtschaftliche Aussichten, fehlende Hofnachfolge und Bauernbashing sind Alltag vieler LandwirtInnen. In einer solchen Situation noch zusätzliche Leistungen zu erbringen ohne dafür eine Extra-Entlohnung zu bekommen, dürfte nur bei den wenigsten auf offene Ohren stoßen.

Mehr Respekt und Unterstützung – dafür müssen alle an einen Tisch

Deshalb ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Zukunft der Landwirtschaft dringend notwendig. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Brot für die Welt und Greenpeace fordern von der Bundesregierung, eine Landwirtschaftskommission einzuberufen. Bereits vor drei Jahren brachte die damalige Umweltministerin Barbara Hendricks einen Gesellschaftsvertrag mit der Landwirtschaft ins Spiel. Ihr ging es darum, die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft zu definieren, den Status quo zu erfassen und die finanziellen sowie zeitlichen Umbauschritte zu vereinbaren. Eine Herausforderung, die heute immer noch gelöst werden muss. Dafür braucht die Landwirtschaft nicht nur den eingeforderten Respekt, sondern auch gesellschaftliche Unterstützung. Sowohl durch faire Erzeugerpreise als auch durch Fördermittel und Programme.

Das ist das Herzstück der dringend notwendigen Agrarwende und muss nun die Hauptaufgabe der Agrarpolitik sein. Der Umbau der Nutztierhaltung und des Ackerbaus (sowie des Grünlandes) mit darauf abgestimmten Agrar-Milliarden aus Brüssel können den jahrelangen Reformstau aufheben und der Landwirtschaft den Weg in eine gedeihliche Zukunft weisen. Hierfür sind alle gefragt. Die Grüne-Kreuz-Aufsteller, die Land-Schafft-Verbinder, die Agrarpolitik, die Bauernverbände, die zivilgesellschaftlichen NGOs und schließlich die Verbraucherinnen und Verbraucher.


Dieser Artikel von Christian Rehmer ist eine Vorab-Veröffentlichung aus umwelt aktuell (Ausgabe 12/19), die Anfang Dezember erscheint. Der Autor leitet den Bereich Agrarpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).


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