WIESO DER UMBAU DER TIERHALTUNG KOMMEN MUSS

In den letzten 15 Jahren mussten 130.000 landwirtschaftliche Betriebe ihre Hoftore für immer schließen. Verantwortlich für dieses Höfesterben in Deutschland ist eine ruinöse Agrarpolitik, die die Betriebe zum permanenten Wachstum zwingt und sich, wie z.B. beim Schweinefleisch, am Export ausrichtet. Das Resultat: Es gibt immer weniger Betriebe, die immer mehr Tiere halten.

Billigfleisch ist brandgefährlich

Im März 2021 machte die Brandkatastrophe in einer Schweinezuchtanlage in Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern deutlich, wohin diese Entwicklung führt: Rund 57.000 Sauen und Ferkel kamen beim dem Brand ums Leben. Die große Tierzahl und die Art der Haltung der Sauen in den Kastenständen machten eine Rettung der Tiere unmöglich. Diese Anlage macht deutlich, was passiert, wenn die Zahl der Betriebe reduziert und die Anzahl der Tiere pro Betrieb immer weiter nach oben geschraubt wird: Tierfabriken mit einem „bewegungsarme“ und daher kostengünstigen Haltungssystem entstehen. Damit soll sichergestellt werden, dass in den Supermarktketten und für den Export billiges Fleisch massenhaft zur Verfügung steht. Bei der Billigfleisch-Produktion versagen Politik und Verwaltung gleichermaßen: Die Politik versagt, weil sie ein vollkommen falsches Anreizsystem schafft und die Verwaltung versagt, weil sie Megaställe genehmigt, die viel zu groß und in denen viel zu viele Tiere sind, um sie im Brandfall kontrollieren zu können.   

Dabei ist klar, dass die Brandkatastrophe nur die Spitze des Eisbergs ist. Denn viele Haltungsbedingungen sind gekennzeichnet durch Enge, Hitze, Dreck und Geräuschkulisse. Die Tiere sind im Dauerstress und die Situation in den Megaställen produziert aggressives Verhalten untereinander. Um Verletzungen zu vermeiden, werden den Schweinen deshalb im Ferkelalter die Schwänze abgeschnitten und die Zähne abgeschliffen.

Billigfleisch ist teuer

Zu eng, zu dreckig und zu wenig Abwechslung: In breiten Teilen der Bevölkerung verliert die industrielle Tierhaltung mit ihren Billigtierprodukten an Akzeptanz. Aber die Haltung nach dem Grundsatz „Masse statt Klasse“ verursacht nicht nur Tierleid, sondern auch massive Umweltprobleme wie etwa die Gülleüberproduktion: Weil in Deutschland zu viele Schweine gehalten werden, fehlt es an Flächen, die die Gülle aufnehmen können. Das führt vielerorts zu einer Überdüngung, was für hohe Konzentrationen von Nitrat im Grundwasser sorgt, das dann kostenintensiv gereinigt werden muss.

Neben der Gülleüberproduktion ist eine weitere Konsequenz der Massentierhaltung, dass Futtermittel importiert werden, weil eigene Flächen der Halter*innen für den Anbau nicht vorhanden sind oder nicht ausreichen. Aufgrund dieser fehlende Flächenbindung landet beispielsweise Soja, das auf Regenwaldflächen in Südamerika angebaut wird, in den Futtertrögen Deutschlands. Riesige Waldflächen und Ökosysteme mit einer einzigartigen Vielfalt werden unwiederbringlich zerstört für die Billigfleischproduktion.

Und schließlich heizt die Tierhaltung auch wesentlich die Klimakrise an: 14,5% der globalen Klimagasemissionen stammen aus der Viehzucht und fast die Hälfte davon werden durch die Produktion und Verarbeitung von Futtermitteln freigesetzt. Und letztlich schlägt die Erdüberhitzung, die u.a. durch diese Art der Tierhaltung verursacht wird, auch wieder auf die Landwirtschaft zurück: Immer öfter auftretende Extremwetterlagen und steigende Temperaturen gefährden die Ernten und bedrohen die Ernährungssicherheit in vielen Teilen der Welt.

Der Einsatz von Antibiotika gefährdet Mensch und Tier

An der Eierproduktion wird ein weiteres Problem der gegenwärtigen Tierhaltung deutlich: Heute werden fast ausschließlich auf hohe Legeleistung spezialisierte Legehennen gehalten, die über 300 Eier pro Jahr legen. Die Züchtung und Optimierung auf eine hohe Legeleistung und die permanente Belastung, die damit einhergeht, führt oft zu schwerwiegenden Krankheiten.

Ihnen werden deshalb hohe Mengen an Arzneimitteln inklusive Antibiotika prophylaktisch verabreicht, um die Gesundheit der oft mehrere zehntausend Tiere umfassenden Bestände zu sichern. Diese hohen Dosen von verabreichten Antibiotika führen zum vermehrten Auftreten multiresistenter Keime. Und das wiederum erhöht die Gefahr, dass Antibiotika-Therapien beim Menschen an Wirksamkeit verlieren. Laut der UN-Weltgesundheitsorganisation WHO können Antibiotikaresistenzen zu lebensbedrohlichen Blut- und Wundinfektionen und zu Lungenentzündung führen. Und sie belasten die Gesundheitssysteme durch den Anstieg der Behandlungskosten, längere Krankenhausaufenthalte und höhere Ausgaben für Behandlung.

Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Und die Herausforderung ist groß: Der Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierschutz, mehr Umwelt – und Klimaschutz. Das wird aber nur gelingen, wenn die Politik die bäuerliche Landwirtschaft schützt und Tier- und Klimaschutzmaßnahmen gezielt fördert und damit sicherstellt, das Bäuer*innen faire Preise für die Produkte bekommen und das Höfesterben gestoppt wird.

Reformen der Nutztierhaltung – Was bisher geschah

Die gute Nachricht: Wir fangen nicht bei Null an. Der Schulterschluss der bäuerlichen Betriebe, die schon längst bereit sind für eine bessere Haltung, mit Tier- und Umweltschutzverbänden und kritischen Verbraucher*innen setzt die Agrarpolitik unter Druck und hat in der Vergangenheit bereits dafür gesorgt, dass einige Schritte in die richtige Richtung gemacht wurden. Das zeigt uns: Gemeinsam Druck machen für die Agrarwende zahlt sich aus und die Politik bewegt sich schließlich doch, trotz all der Beharrungskräfte aus der Agrarindustrie und der Klientelpolitik des Landwirtschaftsministeriums. Das machen auch die folgenden vier kurzen Beispiele deutlich.

Beispiel Kükentöten
45 Millionen Küken werden jedes Jahr in Deutschland getötet und anschließend entsorgt. Die männlichen Nachkommen der Legehennenrassen sind nicht zu vermarkten, weil sie keine Eier legen, aber auch nicht auf die Mast ausgerichtet sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2019 letztlich entschieden: Ein Verbot, männliche Küken zu schreddern oder zu vergasen, soll ab 2022 in Kraft treten. Denn das Leben der Tiere, so das Gericht, wiege mehr als rein wirtschaftliche Interessen. Obwohl dieses Urteil ein richtiger Schritt in Richtung Durchsetzung des Tierschutzes ist, ändert diese Neubewertung des Tierlebens erstmal nichts Grundlegendes am System. Denn eine technische Alternative, die das System so lassen kann wie es ist, gibt es schon: Die Geschlechtsbestimmung der Küken im Ei und deren Entsorgung vor dem Schlüpfen.

Beispiel Ferkelkastration
Die Ausnahmeformulierung im Tierschutzgesetz, die die Grundlage für die betäubungslose Kastration der Ferkel war, wurde bereits im Jahr 2013 gestrichen. Dennoch war sie bis Anfang 2021 gängige Praxis. Erst dann waren tatsächlich alle Übergangsfristen verstrichen und diese Art der Kastration verboten: Männlichen Schweine werden wenige Tage nach der Geburt betäubungslos kastriert, um bei Erreichen der Geschlechtsreife den eventuell auftretenden Ebergeruch im Fleisch zu verhindern. In der Vergangenheit mussten das etwa 20 Millionen Ferkel jährlich in Deutschland erleiden.

Beispiel Käfighaltung der Legehennen
Seit 2010 ist die Haltung in sogenannten Legebatterien europaweit verboten. Diese Form der extrem intensiven Tierhaltung in geschlossenen Käfigen sah für eine Henne ca. 20 x 27,5 cm Platz vor. Die Käfighaltung in sogenannten Kleingruppen von 20 – 60 Tieren ist hingegen weiterhin erlaubt. Dabei steht pro Tier etwas mehr Platz zur Verfügung als in der Legebatterie, eine etwa DIN-A4-Blatt-große Fläche. Etwa 13 Prozent der Legehennen wird so gehalten.

Aber auch die meisten anderen Haltungsformen sind nicht unbedingt ein Ponyhof. Legehennen leben in Deutschland inzwischen zu ca. 63 Prozent in konventioneller Bodenhaltung. Dabei werden sie meist in großen Hallen in Gruppen gehalten, auf einem Quadratmeter bis zu 9 Hennen. In der Bodenhaltung ist nur etwa ein Drittel der Haltungsfläche mit Einstreu aus Stroh und Hobelspänen ausgelegt, in der die Tiere scharren, picken und staubbaden können.

Rund 20 Prozent der Legehennen leben mittlerweile in Freilandhaltung, bei der sie eine zusätzliche Auslauffläche von vier Quadratmetern haben. Ob dort ein artgerechtes Verhalten der Tiere möglich ist, wie Picken, Scharren, Staubbaden und Verstecken, steht auf einem anderen Blatt.

Beispiel Kastenstand in der Schweinehaltung
In vielen Betrieben bringen Sauen ihre Ferkel im Kastenstand zur Welt. Das ist ein Käfig, der nur wenig größer ist als das Tier. Durch den Kastenstand soll verhindert werden, dass die Muttersau ihre eigenen Babys in der Abferkelbucht erdrückt. Die Sau ist für rund vier Wochen fixiert, die Ferkel können sich jedoch frei bewegen.

Der Kastenstand ist in der Öffentlichkeit hoch umstritten. Fast 90 Prozent halten laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von VIER PFOTEN aus dem Jahr 2020 den Kastenstand für Tierquälerei und befürworten ein Verbot.

2020 wurde dann auch endlich ein Gesetz verabschiedet, das die umstrittene Kastenstandhaltung verbieten und so für mehr Tierschutz sorgen soll. Allerdings gelten dabei Übergangsfristen von bis zu 15 Jahren. Die Bundesregierung will die Halter*innen beim Umbau der Ställe finanziell mit insgesamt 300 Millionen Euro unterstützen. Tierschutzorganisationen und Verbraucherschützer*innen kritisieren die langen Übergangsfristen heftig. 

In der Vergangenheit hat sich also schon einiges getan in Richtung eines Umbaus der Tierhaltung, auch wenn es erstmal nur um die Beseitigung krassester Missstände ging und auch wenn die Politik sich nur so weit bewegt, wie sie unbedingt muss, weil sie von kritischer Öffentlichkeit und der Bewegung für die Agrarwende getrieben wird.

Die Probleme sind längst nicht behoben

Obwohl in den letzten Jahren also einzelne Verbesserungen in der Nutztierhaltung erreicht worden sind, wie die genannten Beispiele zeigen, stellen sich weiterhin grundlegende strukturelle Fragen, die den Tierschutz betreffen. Denn das System der Nutztierhaltung bleibt bislang weitgehend unangetastet, auch wenn einzelne Maßnahmen wie das Verbot des Kükentötens oder die betäubungslose Ferkelkastration bereits umgesetzt bzw. auf den Weg gebracht wurden. Der nach wie vor existierende Preisdruck für Tierprodukte auf dem Markt ist verantwortlich für das Fortschreiten des Höfesterbens und für die damit einhergehenden Waschstums- und Konzentrationsprozesse in der Branche.

Fortschreitende Rationalisierung und Konzentration
In der Schweinehaltung haben sich in den letzten Jahrzehnten erhebliche Veränderungen vollzogen. Die Muttersauen und die Ferkelerzeugung werden in der Regel in spezialisierten Betrieben gehalten. Die Schweinemast findet dann in wiederum anderen, auf diesen Produktionsschritt angepassten und optimierten, Betrieben statt.

Diese Rationalisierung in der Schweinefleischproduktion geht einher mit einer Konzentration: Fast jeder zweite schweinehaltende Betrieb im Bundesgebiet musste in den letzten 10 Jahren die Schweinehaltung für immer aufgeben, weil die Politik die agrarindustrielle Entwicklung nicht gestoppt hat. Die Konsequenz: Immer weniger Betriebe halten immer mehr Schweine.

Beispiel Legehennen: Über 48 Millionen Hennen legten in Deutschland im Jahr 2019 nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums ca. 14 Milliarden Eier. Sie werden in Ställen gehalten, die in den meisten Fällen auf 10.000 bis 30.000 Tiere ausgelegt sind. Im Extremfall entstehen durch die Zusammenlegung von einzelnen Ställen Tierfabriken, in denen 100.000 und mehr Hennen ihre Eier legen. Bei diesem Konzentrationsprozess in der Tierhaltung spielt das Wohl der Tiere eine sehr untergeordnete Rolle. Und durch das Preisdumping für tierische Produkte stehen viele Betriebe finanziell mit dem Rücken zur Wand. Bäuerliche Organisationen fordern deshalb schon lange ein Ende des katastrophalen Wachstumsparadigmas in der landwirtschaftlichen Produktion. Stattdessen brauchen die Bauernhöfe politische Unterstützung und Förderung, die sich an einer artgerechten Haltung und an Klima- sowie Umweltschutz orientieren und faire Preise für die Erzeuger*innen garantieren.

Stallumbau und tiergerechte Haltung
Ein großer Kostenfaktor innerhalb der Schweinehaltung und Schweinemast sind die Baukosten. Daher wurde in der Vergangenheit vielfach angestrebt, möglichst viele Tiere auf möglichst kleiner Fläche zu halten. Das entspricht aber nicht dem Wesen der Tiere. Wenn man ihnen die Wahl lässt, unterscheiden Schweine zwischen verschiedenen Bereichen. So haben sie normalerweise neben Orten zum Fressen und Liegen auch einen Bereich zum Koten. Voraussetzung dafür wäre aber ausreichend Platz, möglichst mit Zugang ins Freie. Aber genau das Gegenteil passiert: Durch die Rationalisierung und Industrialisierung der schweinehaltenden Betriebe werden immer mehr Tiere auf Spaltenboden und ohne Auslauf ins Freie gehalten.

Wie geht es weiter mit dem Umbau der Tierhaltung?

Die Borchert-Kommission
Die Forderung nach einem grundlegenden Umbau in der Tierhaltung ist mittlerweile auch in der Politik angekommen. Im Jahr 2020 erstellte das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter der Leitung des ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert einen Bericht zum Zustand der Tierhaltung. Das eindeutige Fazit der Borchert-Kommission: Die Nutztierhaltung in Deutschland ist nicht zukunftsfähig. Weil die Akzeptanz der Bevölkerung genauso wie die Wettbewerbsfähigkeit sinkt, brauche es dringend eine umfassende Transformation, die mehr Tier- und Umweltschutz in die Tierhaltung bringt.

Im Bericht der Kommission spielt der Stallneubauten eine große Rolle. Es gehe darum, durchgängig mehr Platz zu schaffen und Kontakt mit dem Außenklima sicherzustellen. Im März 2021 gab es darauf folgend eine vom Bundesagrarministerium in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie, die die Vorschläge der Borchert-Kommission unter die Lupe genommen und beurteilt hat. Das Ergebnis: Der große Umbau ist machbar und auf unterschiedliche Weisen finanzierbar. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beziffert die Kosten für den großen Umbau auf 3 bis 5 Milliarden Euro.

Jetzt gibt es für Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner keine Ausreden mehr: Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, ein Expert*innengremium hat die Machbarkeit geprüft. Jetzt muss die Ministerin zur Tat schreiten! Denn der große Umbau ist dringend geboten und machbar.

Die Zukunft der Tierhaltung: weg von viel und billig

Obwohl die Vorschläge der Borchert-Kommission konkrete Verbesserungen bringen können und die notwendige Diskussion über Tierhaltung weiter am Laufen hält, muss der Umbau der Tierhaltung weitergedacht werden und kann nicht beim Stallneubau enden. Auch die bereits existierenden Tierfabriken und Megaställe müssen in den Fokus: weiteren Baugenehmigungen für neue Großmastanlagen dürfen nicht erteilt werden. Die existierenden Großanlagen müssen rückgebaut und staatliche und privatwirtschaftliche Investitionen auf eine dezentrale, qualitätsorientierte Tierhaltung verpflichtet werden. Die Tiere brauchen genügend Auslauf und die Betriebe müssen ausreichende Flächen für den Anbau von regionalen Futtermitteln und die Ausbringung von tierische Düngern haben. Deshalb ist die Forderung zentral: Tierzahl an die Fläche binden! Das ist gut für die Tiere, denn so bekommen sie nicht nur mehr Platz im Stall, sondern auch die frische Luft und Futter aus der Region. Und eine artgerechte, flächengebundene Haltung ist auch gut für unsere Gesundheit und das Klima. Wenn wir alle unseren Fleisch- und Milchkonsum reduzieren und auf Qualität statt Masse setzen, leben wir gesünder und klimagerechter. Damit das klappt, brauchen die Bäuer*innen staatliche Unterstützung beim Stallumbau, Förderung von Umwelt-, Klima- und Tierschutzmaßnahmen und eine Garantie für faire Preise für ihre Lebensmittel. Wenn das gelingt, wird die industrielle Massenproduktion zum Auslaufmodell.

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