Giftige Pestizide als Kerngeschäft

In Brasilien zeigt der Bayer-Konzern, dass er nach dem Kauf von Monsanto noch gefährlicher für Mensch und Umwelt geworden ist

Die Übernahme von Monsanto hat Bayer zum weltweiten Agrarkonzern Nummer Eins gemacht. Agrargifte sind dadurch ein noch deutlich wichtigerer Geschäftsbereich geworden. Das Beispiel Brasilien zeigt, wie problematisch diese Marktmacht ist. In dem Land mit dem höchsten Pestizideinsatz weltweit setzt sich Bayer aktuell für weitere gesetzliche Liberalisierungen in diesem Bereich ein.

Seit dem 7. Juni 2018 bilden die deutsche Bayer AG und der US-amerikanische Gensaatgut- und Glyphosat-Hersteller Monsanto unter dem Namen Bayer den weltweit größten Agrarkonzern. Die Streichung des Namens Monsanto mit seinem weltweit schlechten Ruf war die erste Amtshandlung von Bayer nach der Übernahme. Nach eineinhalb Jahren Verhandlungen mit internationalen Wettbewerbsbehörden gaben schlussendlich alle rund dreißig prüfenden Ämter grünes Licht, wenn auch in vielen Fällen unter Auflagen. Diese Auflagen mindern aber keinesfalls die enorme Machtkonzentration im Saatgut- und Pestizidbereich.

Indem sie rund 60 Prozent des weltweiten Saatgutmarkts und circa 70 Prozent des globalen Pestizidgeschäfts kontrollieren, definieren von nun an nur drei Megakonzerne (neben Bayer Corteva Agriscience – ehemals Dow und DuPont – und ChemChina) die Parameter, unter denen in Zukunft angebaut wird, und münzen ihre Marktmacht durch die Einflussnahme auf Gesetzgebungsprozesse auch in politische Macht um. Sie bestimmen, was auf den Äckern der Welt wächst und auf den Tellern landet.

Daher hat die entwicklungspolitische Organisation INKOTA, die Teil von Meine Landwirtschaft ist, vor kurzem die Kampagne „Fusionswelle brechen“ ins Leben gerufen. Ziel ist es die Bundesregierung dazu zu bewegen, gegen die Genehmigung der Bayer-Monsanto-Fusion durch die Europäische Wettbewerbskommission zu klagen und die Fusionskontrolle als wichtige Säule des Wettbewerbsrechts zu verschärfen. Unbedingt müssen bei der Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen soziale, ökologische und menschenrechtliche Auswirkungen – auch im globalen Süden – geprüft werden.

Bayers Pestizideinsatz in Brasilien und seine Folgen

Auftakt hat die Kampagne bei der Bayer-Hauptversammlung am 25. Mai in Bonn vor dem World Conference Center gefeiert: Mit einem drei Meter hohen Wellenbrecher protestierten Aktive gegen die Fusionswelle im Agrarbereich protestiert. Vor Ort war auch der brasilianische Aktivist Alan Tygel. In seiner Rede thematisierte er unter anderem die doppelten Standards von Bayer: Der Konzern verkauft in Brasilien Produkte, die in der EU längst verbotene Wirkstoffe enthalten, darunter Carbendazim, Cyclanilid, Ethiprole, Ethoxysulfuron, Ioxynil und Thiodicarb. Auch eine neue Studie des Öko-Instituts zeigt, dass Bayer im Ausland drei Sorten hochgiftiger Pestizide (Englisch: Highly Hazardous Pesticides, HPP) verkauft. Eines davon ist Carbofuran, das unter dem Namen Curaterr vertrieben wird, sehr giftig beim Einatmen ist und sowohl das menschliche Hormonsystem als auch Bienen schädigen kann. Curaterr wird nur in Südafrika verkauft und auch größtenteils dort – und nicht etwa in Deutschland – hergestellt. Der Bayer-Konzern hat also offensichtlich keine ethischen Bedenken dabei, außerhalb von Europa die Gesundheit von Bauern und Bäuerinnen sowie Landarbeiter*innen und der lokalen Bevölkerung durch den Einsatz und die Herstellung seiner Produkte zu gefährden.

Alan Tygel machte in Bonn klar, dass diese Gefährdung in Brasilien Alltag ist. Dem Bayer-Vorstand berichtete er: „In Brasilien sind es jedes Jahr 6.000 Menschen, die wegen Pestizidvergiftung medizinisch behandelt werden müssen. Aber wir wissen, dass die realen Zahlen zehnfach größer sind. Denn die Mehrzahl der Vergiftungen geschieht auf dem Land – dort, wo es keinen oder kaum Zugang zu medizinischer Versorgung gibt.“ Laut einer Studie des brasilianischen Gesundheitsministeriums und der Stiftung Oswaldo Cruz haben zwischen 2007 und 2014 25.000 Brasilianer*innen Vergiftungen durch Pestizide erlitten. Dabei schätzt die Wissenschaftlerin Larissa Mies Bombardi, dass zu jeder betroffenen Person 50 weitere hinzukommen, die ihre Beschwerden nicht melden. So gelangt sie zur alarmierenden Zahl von 1,25 Millionen Betroffenen im genannten Zeitraum.

Die enorme Dunkelziffer an Pestizidvergiftungen in Brasilien ist unmittelbar mit einem zentralen Geschäftsfeld des fusionierten Pestizidgiganten verbunden. Schon heute ist Brasilien das Land mit dem größten Pestizideinsatz weltweit. 20 Prozent aller weltweit ausgebrachten Pestizide landen auf brasilianischen Äckern. Mit der Übernahme von Monsanto wird Bayer auch in Brasilien mit einem Marktanteil von 23 Prozent zum wichtigsten Pestizidhersteller.

Je mehr Marktmacht Konzerne wie Bayer haben, desto eher können sie auch politische Rahmenbedingungen beeinflussen. Und das versuchen sowohl Bayer als auch Monsanto in Brasilien mit großem Nachdruck: Laut dem brasilianischen Transparenzregister gab es allein 2017 neun Treffen zwischen dem brasilianischen Agrarministerium und Monsanto sowie sechs Treffen mit Bayer. Bayer und Monsanto sind außerdem beide Mitglieder des Branchendachverbands Sindiveg, der einen neuen, noch laxeren Gesetzesentwurf zur Pestizidregelung in Brasilien unterstützt.

Konzernlobbying für Giftpakete

Die Gesetzesinitiative PL 6299/2002 wurde von der parlamentarischen Fraktion der Großgrundbesitzer*innen und Großfarmer*innen eingebracht und von der Opposition Pacote do Veneno (Giftpaket) getauft. Zunächst sieht sie die offizielle Umbenennung des Pestizidbegriffs von „Agrargiften“ in „Pflanzenschutzmittel“ vor. In Deutschland ist der Begriff Pflanzenschutzmittel längst Gang und Gäbe, Kritiker*innen monieren jedoch den beschönigenden Charakter des Wortes. Darüber hinaus geht es um die „Flexibilisierung“ des Pestizideinsatzes in Brasilien. Bis heute entscheiden drei staatliche Institutionen über die Zulassung von Pestiziden: die Gesundheits- und die Umweltbehörde sowie das Landwirtschaftsministerium.

Die Gesetzesänderung würde diese Aufgabe zentral dem Landwirtschaftsministerium zuteilen, das traditionell eng mit der brasilianischen Agrarlobby verbunden ist. So ist Agrarminister Blairo Maggi selbst der mächtigste Sojabaron Brasiliens und wegen seiner Verantwortung für die Zerstörung von Regenwald Gewinner der Greenpeace-Auszeichnung „Goldene Kettensäge“. Das Gesundheits- und das Umweltamt sollen zur Bewertung von Pestiziden nur noch Stellungnahmen abgeben dürfen. Die Studien zur Risikobewertung würden von den Pestizidherstellern selbst durchgeführt. Am 25. Juni 2018 wurde die Initiative von einer Sonderkommission angenommen, die Abstimmung im Abgeordnetenhaus wird für den Zeitraum nach der Präsidentschaftswahl im Oktober erwartet.

Anfang August gab es aber ganz andere Nachrichten aus dem südamerikanischen Land: Eine Bundesrichterin in Brasília verhängte ein Verbot auf den Einsatz des meistverkauften Pestizids Glyphosat sowie des Insektizids Abamectin und des Fungizids Thiram. Die Verfügung wurde Anfang September zwar wieder aufgehoben. Dennoch konnte auf diese Weise Druck auf die Gesundheitsbehörde ausgeübt werden, die drei Stoffe endlich neu zu bewerten.

Wenige Tage später folgte ein weiteres Urteil aus den USA: Ein Gericht in San Francisco verklagte die Bayer-Tochter Monsanto zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 290 Millionen US-Dollar an einen an Lymphdrüsenkrebs erkrankten Hausmeister. Monsanto kündigte sofort an, Berufung einzulegen und stritt jeden Zusammenhang mit dem Einsatz des Glyphosat-haltigen Unkrautvernichters Roundup ab. Ende Oktober wurde die Schadensersatzsumme durch das Höchste Gericht von Kalifornien zwar auf 78 Millionen US-Dollar reduziert, das Urteil wurde aber bestätigt. Das könnte angesichts der weiteren 8.700 Klagen, die in den USA gegen Monsantos Glyphosat laufen, für Bayer teuer werden. So ist auch der Kurs der Bayer-Aktien am Tag der Nachricht direkt um fast zehn Prozent eingebrochen.

Eines zeigen die Debatten um den Pestizideinsatz in Brasilien und anderswo eindrücklich: Agrarkonzerne wie Bayer (und ehemals Monsanto) versuchen, die Verkaufszahlen ihrer hochgiftigen Unkraut- und Schädlingsvernichtungsmittel um jeden Preis zu maximieren, und arbeiten dafür auch daran, den gesetzlichen Rahmen in ihren Absatzländern zu ihren Gunsten aufzuweichen. Was in Europa nicht möglich ist, nutzt Bayer in anderen Ländern mit einer schwächeren Regulierung aus: So dürfen brasilianische Farmer*innen 200 bis 400 Mal so viel Gift auf ihren Äckern ausbringen, als in der Europäischen Union erlaubt ist.

All dies geschieht zu Lasten der Biodiversität, der Wasserqualität, der Bodengesundheit sowie der Gesundheit der Erzeuger*innen, Landarbeiter*innen und der Bevölkerung, die von der Pestizidbelastung in der Luft, dem Trinkwasser oder in Lebensmitteln betroffen ist. Solange die Megakonzerne im Saatgut- und Pestizidbereich unter anderem durch Fusionen immer größer und mächtiger werden, wird sich an dieser Situation nichts ändern.

Neben einer deutlich strengeren Pestizidregulierung in vielen Ländern braucht es daher auch eine schärfere Fusionskontrolle sowie rechtliche Instrumente, um der wachsenden Marktkonzentration Einhalt zu gebieten und zu große Konzerne – auch ohne Vorwürfe eines Marktmachtmissbrauchs – wirksam zu entflechten. Nur so kann eine Agrar- und Ernährungswende hin zu einer ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Lebensmittelerzeugung gelingen.

Appell "Fusionswelle brechen" unterzeichnen


Dieser Artikel von Lena Michelsen erschien zuerst in einer leicht geänderten Fassung in Südlink 185. Die Autorin ist Referentin für Landwirtschaft und Welternährung bei INKOTA.


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